„Es gibt keine verlässlichen Namen für die Arten, es gibt kaum jemanden, der sie bestimmen kann, es gibt keine Vergleichssammlungen und keine Literatur. Und wenn es dieses vereinzelt gibt, gibt es keine Kenntnis über Grundlegendes zur Lebensweise wie Lebensraumansprüche, genutzte Wirte oder Futterpflanzen, Verbreitung und Flugzeiten über das Jahr“ erläutert Dr. Ralph S. Peters, Projektleiter und Kurator am Zoologischen Forschungsmuseum und Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn (ZFMK, Museum Koenig) die Bedeutung des Projekts, das die große Chance bietet, endlich Licht ins Dunkle zu bekommen. Aufgrund der fehlenden Daten, wegen derer die Arten gewissermaßen im Dunklen bleiben, werden sie als „Dark Taxa“ bezeichnet. Das neue Projekt, das sich ihnen widmet, wurde daher „GBOL III: Dark Taxa“ genannt.
Die Dark Taxa in den Mücken und parasitoiden Wespen umfassen etwa ein Viertel aller heimischen Tierarten. Genauer kann man das nicht sagen, da ja ihre Zahlen weitgehend im Dunklen liegen. „Mit „Mücken“ sind dabei nicht die Stechmücken gemeint, diese sind vergleichsweise gut bearbeitet“ erklärt Dr. Vera Rduch, Projektkoordinatorin am Museum Koenig, und ergänzt: „Vielmehr ist das Heer von anderen meist kleinen Zweiflüglern – Zuckmücken, Pilzmücken, Gallmücken, Stelzmücken etc. gemeint“. Dies Mücken stechen nicht und saugen kein Blut, sind aber allgegenwärtig. Die „parasitoiden Wespen“ sind meist kleine oder sehr kleine Hautflügler, die sich an oder in anderen Insekten entwickeln und diese dabei abtöten. Mit den gelbschwarzen Faltenwespen haben sie nur entfernt zu tun. Die parasitoiden Wespen sind mit tausenden von Arten in Deutschland vertreten und – wie die Mücken – allgegenwärtig.
Vermutlich würden sehr viele Menschen in Deutschland annehmen, die heimische Biodiversität, die Artenvielfalt, sei gut erforscht, oder es gäbe nur noch selten besondere Entdeckungen zu machen. Bei „unbekannter Biodiversität“ denken die meisten zunächst an tropische Regenwälder, die Tiefsee oder entlegene Gegenden mit spärlicher Besiedlung.
Aber auch in Deutschland, in einer dicht bevölkerten industrialisierten Region mit jahrhundertelanger Naturforschungstradition, gibt es erstaunlich große blinde Flecken in unserer Kenntnis der Biodiversität.
Der Wert der Biodiversität wird zunehmend erkannt und die Notwendigkeit, diese sowohl aus ethischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen zu schützen und zu fördern, ist in weiten Teilen der Bevölkerung und der Politik verstanden worden. Die Beschleunigung dieses Prozesses ist auf die Veröffentlichung der so genannten „Krefeld Studie“ zurückzuführen. Sie stellt den massiven Insektenrückgang innerhalb der letzten 25 Jahre in Naturschutzgebieten Deutschlands dar. In der Folge wurden weitere alarmierende Zahlen zum Biodiversitätsverlust auch in anderen Tiergruppen publiziert.
Insekten spielen also in der Biodiversität und beim Biodiversitätsverlust eine große Rolle. Sie sind die artenreichste Tiergruppe, Nahrungsgrundlage in den meisten Nahrungsnetzen, Bestäuber unserer Kultur- und Wildpflanzen, natürliche Gegenspieler von Schadinsekten und unverzichtbare Bodenaufbereiter. Gerade bei den Insekten gibt es aber auch die größten Wissenslücken zur heimischen Biodiversität. Die größten Lücken innerhalb der Insekten lassen sich wiederum auf zwei Großgruppen zurückführen: Die Mücken und die parasitoiden Wespen.
Eine neue große Forschungsinitiative, „GBOL III: Dark Taxa“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), startet nun, um diese Lücken zu füllen.
Das Projekt ist eine Fortführung der German Barcode of Life Initiative (GBOL). Seit 2011 hat ein Konsortium von Forschungsinstituten und Naturkundemuseen unter der Leitung des Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) das Ziel einer Inventarisierung der heimischen Tiere, Pflanzen und Pilze vorangetrieben. Alle Arten sollten dabei erfasst und in Datenbanken hinterlegt werden, sowohl als Belegtier als auch als genetische Ressource, dem sogenannten CO1-Barcode, der – richtig angewendet – bei den meisten Arten eine zuverlässige Bestimmung erlaubt, ohne das Tier selbst anzusehen. Dies geschieht durch Sequenzierung eines Teil der DNA, dem CO1 Barcode, im Labor und Abgleich mit der Datenbank. GBOL war sehr erfolgreich und konnte von knapp 19.000 Arten Sequenzdaten erzeugen – die DNA-Referenzdatenbank wird heute kommerziell und wissenschaftlich genutzt. Es gibt allerdings in Deutschland etwa 44.000 Tierarten, etwa 33.000 davon Insekten. Durch die enge Zusammenarbeit mit Artenkennern konnten kleinere Gruppen wie Wildbienen, Wanzen oder Zikaden, aber auch artenreiche Gruppen wie Käfer oder Schmetterlinge sehr gut und teilweise vollständig abgedeckt werden. Gerade bei den megadiversen Insektengruppen wie den Diptera (Zweiflügler: Mücken und Fliegen), die mit geschätzten 9.500 Arten vertreten sind, oder den Hymenoptera (Hautflügler: Bienen, Ameisen und Wespen), die mit circa 9.800 Arten in Deutschland vorkommen, fehlen häufig die Experten um sie zu bestimmen oder um ihre Lebensweise und ihre Rolle im Ökosystem darzustellen. Und somit ist die Datenbank in großen Teilen der Insekten noch immer wenig oder gar nicht gefüllt.
Dass diese „Dark Taxa“ für unsere Ökosysteme eine entscheidende Rolle spielen, lässt sich neben der enormen Artenzahl und ihrer Lebensweise vielleicht am besten aus ihrer schieren Menge ableiten: Je nach Standort machen diese Gruppen bis zu 80% der Individuen oder 75% der Arten von Fluginsekten aus. Auch die „Krefeld Studie“ zum Insektensterben erfasste nur Fluginsekten. Man kann also davon ausgehen, dass auch und vor allem die „Dark Taxa“ vom Insektensterben betroffen sind. Nur gibt es niemanden, der nachschauen könnte und der das bestätigen könnte, niemanden, der sagen kann, welche Arten vorkommen, welche verschwinden. Es gibt niemanden, den man fragen könnte.
Erklärtes Ziel von GBOL III: Dark Taxa ist es nun, die Kenntnis in diesen Gruppen deutlich zu erhöhen und sie damit zugänglich zu machen für Biodiversitätsforschung, Naturschutz, und andere biologische Forschung wie etwa die Ökologie oder die angewandte Entomologie.
Das Ziel soll über vier Wege erreicht werden. Zunächst soll die Erfassung der Arten und ihre taxonomische Bearbeitung erfolgen, also der Nachweis ob eine Art vorkommt, wie diese charakterisiert ist und wie diese heißt. Diese Bearbeitung mündet dann in die Möglichkeit, die Ergebnisse anzuwenden: Taxonomische Arbeiten werden publiziert, Bestimmungsschlüssel werden erstellt, und die Tiere im Labor sequenziert und der CO1 Barcode in der Datenbank hinterlegt. Zudem wird über Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer auf die Dark Taxa und ihre Bedeutung hingewiesen, um diese Tiere in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und das Thema „Biodiversität“ weiter zu verankern. Im Laufe dieses Prozesses werden in dem Projekt die jeweiligen Bearbeiter als Nachwuchswissenschaftler in Doktorarbeiten zu Spezialisten in der jeweiligen Gruppe ausgebildet. Danach werden also für die ehemaligen Dark Taxa für jedermann zugängliche und benutzbare Daten und Tiere vorliegen – und zumindest eine Person, die man in Zukunft fragen kann, wenn es um die jeweiligen Mücken oder Wespen geht.
GBOL III: Dark Taxa wird von einem Konsortium durchgeführt, unter Leitung des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn, und Beteiligung des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart, der Zoologischen Staatssammlung München, der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und des Entomologischen Vereins Krefeld. Das Projekt läuft über 42 Monate und wird vom BMBF mit 5,3 Millionen Euro gefördert. Es startete am 01.07.2020.
Dr. Vera Rduch
GBOL III Dark Taxa -Koordination
Lehrstuhl Spezielle Zoologie, Theriologie
Tel: +49 (0)228 9122 372
Fax: +49 (0)228 9122 212
E-Mail: v.rduch [at] leibniz-zfmk.de
Dr. Ralph S. Peters
GBOL III Dark Taxa - Projektleitung
Leiter Sektion Hymenoptera
Kurator
Stellvertretender Abteilungsleiter Arthropoda
Editor-in-chief Bonn zoological Bulletin
Hymenoptera
Tel: +49 (0)228 9122 290
Fax: +49 (0)228 9122 212
E-Mail: r.peters [at] leibniz-zfmk.de
Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig - Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere hat einen Forschungsanteil von mehr als 75 %. Das ZFMK betreibt sammlungsbasierte Biodiversitätsforschung zur Systematik und Phylogenie, Biogeographie und Taxonomie der terrestrischen Fauna. Die Ausstellung „Unser blauer Planet“ trägt zum Verständnis von Biodiversität unter globalen Aspekten bei.
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