Das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels

ist ein Forschungsmuseum der Leibniz Gemeinschaft

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Jahresbericht 2011

Grußwort des Direktors

Die Vorbereitung auf die Zukunft unseres Instituts muss die Biodiversitätskrise unseres Zeitalters berücksichtigen, die, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, zu einem unwiederbringlichen Verlust der Arten unseres Planeten führt. Bereits jetzt sind weltweit großflächig Lebensräume und die darin existierenden Arten vernichtet, unsere Nachkommen werden zwangsläufig in einer ärmeren Welt leben müssen. Wir betrachten es als unsere Verpflichtung, unser Fachwissen zu nutzen, um einen Beitrag zur Verminderung dieser verlustreichen Veränderungen der Biosphäre zu leisten. Dazu trägt die Erfassung unbekannter Tierarten bei, die Ausweisung besonders artenreicher oder für einzigartige Arten unverzichtbarer Lebensräume, die Ausbildung von Artenkennern. Da Natur auch genutzt werden muss, ist die nachhaltige Bewirtschaftung ein Ziel, für das wir neue Monitoringtechniken brauchen (effiziente Überwachung des Zustandes der Biodiversität), aber auch die Identifikation wirtschaftlich interessanter Organismen, die als genetisches Reservoir für die Zukunft betrachtet werden können. Technisches und biologisches Wissen muss insbesondere für die artenreichen Tropenländer verfügbar werden.

 
Vor diesem Hintergrund arbeitet die Institutsleitung seit mehreren Jahren auf der Grundlage eines Strukturplans an der Umstrukturierung und Erweiterung des ZFMK. Im Jahr 2011 konnten wir die darin verankerten Ziele für die Modernisierung des Instituts konsequent weiter verfolgen.
 
Das Naturkundemuseum war immer ein Ort, an dem das Wissen über die Biologie, Ökologie, Evolution und Systematik von Tierarten gepflegt und erweitert wurde. Dieses Artenwissen der Taxonomen ist an den deutschen Hochschulen fast ausgestorben. Um diese Forschung mit aktuellen Methoden zu ergänzen, sie zukunftsfähig zu machen, indem die genetischen Komponenten der Evolution von Vielfalt berücksichtigen werden, wurde das Zentrum für molekulare Biodiversitätsforschung (zmb) des ZFMK gegründet. Hier werden u.a. neue automatisierte Expertensysteme entwickelt und für künftige Anwendungen vorbereitet.
 
Es sei daher schon an dieser Stelle unseren Trägern gedankt, der Landesregierung Nordrhein-Westfalens und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie, die besonders die Verbesserung der Forschungsinfrastruktur unterstützt haben. Weiterhin müssen auch die Leistungsbereitschaft, der Ideenreichtum und das Engagement der Mitarbeiter hervorgehoben werden, die die Grundlage für den Erfolg sind.
Ein wichtiges Signal war die Einweihung des zmb (Zentrum für molekulare Biodiversitätsforschung) durch Frau Ministerin Svenja Schulze am 13. Mai. Das in Deutschland einzigartige zmb wird von Herrn Prof. Misof geleitet. Es verfügt aktuell über Sektionen, die sich mit Genomik, Phylogenetik, DNA-Taxonomie und Biobanken sowie Bioinformatik befassen. Das zmb ist provisorisch im Gebäude der Entomologie (Clas-Naumann-Bau) untergebracht.
Die Institutsleitung hat beharrlich die seit mehreren Jahren währenden Verhandlungen für die Realisierung des dringend benötigten Neubaus für die Bereiche zmb, Bibliothek, Rechenzentrum, und Teile der Sammlungen fortgesetzt. Ohne größere Laborflächen lassen sich die für unsere großen Projekte erforderlichen Labor- und Rechenmaschinen nicht aufstellen. Da für das Jahr 2011 keine Mittel bereit standen, konnte nicht verhindert werden, dass ein Investor das in Betracht kommende Grundstück erstand. Aktuell arbeiten wir an einem neuen Konzept: Die Anmietung eines durch eben diesen Investor zu errichtenden Spezialgebäudes.
In der Wissenschaft gab es zahlreiche nennenswerte Fortschritte. Seit Oktober leitet das ZFMK das Verbundprojekt GBOL (German Barcode of Life), das vom BMBF mit über 5 Millionen € gefördert wird. Beteiligt sind fast alle großen Forschungsmuseen Deutschlands und eine Vielzahl von Spezialisten aus dem ganzen Land, die über besondere Artenkenntnis verfügen. Ziel ist die genetische Charakterisierung der Tier- und Pflanzenwelt Deutschlands. GBOL ist damit ein europäisches Vorbild für überregional koordiniertes DNA-Barcoding (Nutzung von ausgewählten Genabschnitten als Erkennungsmerkmal von Arten). Für die Koordination von GBOL konnte Frau Dr. Stefanie Pietsch eingestellt werden.
Das im SAW-Verfahren finanzierte Projekt FREDIE entwickelt DNA-Barcodes für alle europäischen Fischarten, so dass künftig auch Eier und Larven eindeutig bestimmbar sein werden (Arbeitsgruppe Dr. Fabian Herder). Auf dem Gebiet der Genomik hat das ZFMK ebenfalls eine internationale Führungsrolle übernommen, was durch den personellen Ausbau des zmb (Zentrum für molekulare Biodiversitätsforschung) möglich wurde. In Kürze wird ein Weltrekord zu vermelden sein: Die Entschlüsselung des Genoms von hunderten von Insektenarten in Kooperation mit chinesischen Wissenschaftlern. Diese und weitere Vorhaben werden auf den folgenden Seiten beschrieben.

Viele Einzelprojekte haben faszinierende neue Erkenntnisse erbracht. Einige Beispiele:

  • Die These anderer Arbeitsgruppen, wonach marine Schnecken Gene aus Algen assimilieren und selbst nutzen können, konnte mit einer aufwändigen und viel zitierten Genomstudie widerlegt werden (H. Wägele et al. 2011, Mol. Biol. Evol.).
  • Um die Vorhersage potentieller Verbreitungsgebiete von Arten zu verbessern, konnten neue Methoden zur Modellierungen der Verbreitung entwickelt und getestet werden (Cord & Rödder 2011, Ecol. Appl.).
  • In einem Bionik-Projekt wurde gezeigt, dass Krötenechsen aus Wüstengebieten Mikrostrukturen der Haut nutzen, um Wassertropfen zu absorbieren und in Richtung Kopf zu leiten (Comanns et al 2011, Beistein J. Nanotechn.).
  • Bei Sandskinken (ebenfalls Echsen aus Wüstengebieten) konnte eine Schuppenstruktur mit äußerst effizienter Schmutzabweisung und Reibungsminimierung beschrieben werden (Staudt et al. 2011, Proc. SPIE).
  • Viele neue Arten wurden entdeckt und beschrieben, darunter auch bisher unbekannte Säugetierarten aus Ostafrika (Kerbis et al. 2011, J. East Afr. Nat. Hist.).
  • Aus archäozoologischen Studien in Marokko ging die Entdeckung einer neolithischen, auf Schneckenverzehr beruhenden Ernährungskultur hervor (Hutterer et al. 2011, Beitr. Paläoanthr. Archäozool.).

Neu eingestellte Wissenschaftler

Durch Einstellung von Dr. Thomas Wesener konnte eine neue Sektion gegründet werden, die sich den Tausendfüßern (Myriapoda) widmet. Eine der ersten Veröffentlichungen beschreibt das "Musizieren" (Stridulation) der Tausendfüßer bei der Partnerwahl (Wesener et al. 2011, Naturwissenschaften). Hinzu kommen zahlreiche Entdeckungen neuer Arten der Tausendfüßer. Für das zmb konnte Dr. Alexander Donath als Bioinformatiker eingestellt werden. Die Sektion Hymenoptera wird nach vielen Jahren der arbeitsteiligen Betreuung durch den verstorbenen Dr. Karl-Heinz Lampe wieder mit einer Vollzeitbetreuung gepflegt und ausgebaut. Für diese Aufgabe konnte Dr. Ralph Peters gewonnen werden. Ein großer Erfolg war seine methodisch neuartige Auswertung des bislang größten genetischen Datensatzes, mit dem die Stammesgeschichte der Bienen und Wespen (Hymenoptera) beschrieben werden konnte (Peters et al. 2011, BMC Biology). Für die zweite Aufgabe von Dr. Lampe, die Biodiversitätsinformatik, wurde eine eigene Stelle eingerichtet, für die Dr. Peter Grobe eingestellt werden konnte. Er ist Autor und Programmierer der Datenbank "MorphDbase". Mit Dr. Grobe begann die Einführung der gemeinsam mit den Bayerischen Staatssammlungen gepflegten Datenbank "Diversity Workbench". Die Biologin Corinna Seibt nahm Ende des Jahres zur Verstärkung der Abteilung Ausstellungen ihren Dienst auf. Sie hatte bisher schon für die Alexander Koenig Gesellschaft am Projekt "Regenwald" mitgearbeitet.

 
In der Leibniz Gemeinschaft wird die Vernetzung weiter ausgebaut. Der Präsident der Leibniz Gemeinschaft, Herr Prof. Dr. Karl Ulrich Mayer, besichtigte das Institut am 10. Februar, um aktuelle Entwicklungen zu besprechen. Das ZFMK beteiligt sich an mehreren Projekten, u.a. für die Verwertung von Forschungsergebnissen der Museen. Der Direktor des ZFMK ist zugleich Sprecher der Forschungsmuseen der Leibniz Gemeinschaft.
 
Um die internationale Vernetzung zu fördern, wurde das ZFMK zahlendes Mitglied der CETAF (Consortium of European Taxonomic Facilities), dem europäischen Konsortium der naturkundlichen Forschungsmuseen. Damit unterstützt das ZFMK die Einrichtung eines CETAF-Büros in Brüssel, das die Interessen der Naturforscher in der Europäischen Kommission und in der Europäischen Forschungsgemeinschaft (ESF) vertritt.
Neben wissenschaftlichen Vortragsserien fanden auch spezielle Fachtagungen am Institut statt, wie die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie (16. - 19. Juni 2011), die eng mit dem Biohistoricum des ZFMK kooperiert, oder das Lateinamerikasymposium (Veranstalter: Prof. Karl-Ludwig Schuchmann).

Die Pflege der Immobilie ist weiterhin aufwändig. Zu den Renovierungen gehörten die Instandsetzung des "Gedächtniszimmers" mit restaurierten Gemälden aus der Sammlung Alexander Koenigs, und die Inbetriebnahme des "Eiersaals", wo ebenfalls dank des Engagements von Herrn Dr. Rainer Hutterer eine Gemäldesammlung aufgehängt werden konnte. Herr Wolfgang Hartwig hatte vorher die Restaurationsarbeiten an den Gemälden ehrenamtlich ausgeführt. Im "Käferhaus" konnten Arbeitsräume hergerichtet werden. Weitere Arbeiten (u.a. Dachsanierung, Fassadenbeleuchtung) ziehen sich ins Jahr 2012 fort.

Der schöne Park des Instituts wurde zu verschiedenen Gelegenheiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ab März 2011 wurde eine Ausstellung von Steinskulpturen der afrikanischen Shona-Kultur gezeigt, während im Haupthaus Makonde-Skulpturen ausgestellt waren. Der Park wird durch einen neuen Biodiversitätsgarten mit zum Teil seltenen einheimischen Pflanzen und Lebensräumen für viele Insekten bereichert. Die Institutsleitung ist den ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern zu Dank verpflichtet, die den Biodiversitätsgarten geplant und mit Begeisterung eigenhändig aufgebaut haben.

Die Öffentlichkeitsarbeit und die Ausstellungsgruppe waren auch dieses Jahr für viele Gelegenheiten sehr gefragt. Dazu gehörten Vorträge, Vernissagen, Sonderausstellungen, Betreuung von Fremdtagungen (z.B. des BMBF, der IUCN, der DFG, der Bonner UN-Sekretariate) oder die Serie "Darwin meets Business" der Alexander Koenig Gesellschaft. Zu der größten Bonner Veranstaltung, dem "Tag der Deutschen Einheit / NRW-Tag" (1.-3. Oktober) zeigten wir Sonderausstellungen. Routine sind inzwischen u.a. der Frühlingsmarkt der Stadt Bonn, das Museumsmeilenfest, die Nacht der Museen und das Stadtfest Bad Godesberg. Besonders erfolgreich ist das gemeinsam mit und auf Anregung der Alexander Koenig Gesellschaft realisierte Jugendprogramm, das vom Vorlesen für Kinder bis zum Jungforscherclub für angehende Wissenschaftler reicht. Das ist auch ein Anlass, der Alexander Koenig Gesellschaft für ihr erfolgreiches und weithin sichtbares Engagement zu danken.
 

Prof. Dr. J. Wolfgang Wägele