Das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels

ist ein Forschungsmuseum der Leibniz Gemeinschaft

Die Bibliothek des biologischen, technischen und kulturellen Wissens – Warum brauchen wir eine integrierte Sammlungsinfrastruktur?

Erscheinungsjahr: 
2023
Vollständiger Titel: 
Die Bibliothek des biologischen, technischen und kulturellen Wissens – Warum brauchen wir eine integrierte Sammlungsinfrastruktur?
ZFMK-Autorinnen / ZFMK-Autoren: 
Publiziert in: 
Bibliothek Forschung und Praxis
Publikationstyp: 
Zeitschriftenaufsatz
DOI Name: 
https://doi.org/10.1515/bfp-2023-0054
Bibliographische Angaben: 
Misof, Bernhard, Tockner, Klement and Trischler, Helmuth. "Die Bibliothek des biologischen, technischen und kulturellen Wissens – Warum brauchen wir eine integrierte Sammlungsinfrastruktur?" Bibliothek Forschung und Praxis, vol. 47, no. 3, 2023, pp. 495-502. https://doi.org/10.1515/bfp-2023-0054
Abstract: 

Germany holds some 150 million objects in natural history, technical, and cultural research collections, and manifold collections of microorganisms in biological resource centers. The consortium OSIRIS (Open Science Information and Research Infrastructure) aims at developing and integrating the high potential of these collections for research and application to better understand and foster societal transformation and to create a new knowledge economy. The article discusses the benefits of such an integrated library of bio-techno-cultural knowledge.

Schlüsselwörter: Sammlungen; Leibniz-Forschungsmuseen; Interdisziplinarität; Transdisziplinarität; Transformation; integrierte Informationsinfrastruktur; bio-techno-kulturelle Diversität; Collectomics

Keywords: Collections; Leibniz Research Museums; interdisciplinarity; transdisciplinarity; transformation; integrated information infrastructure; bio-techno-cultural diversity; Collectomics

„Zukunft braucht Herkunft.“ Mehr denn je gilt dieses Postulat von Odo Marquard in Zeiten großer Unsicherheit und mangelnder Orientierung.[1] Gerade die biologischen, naturwissenschaftlich-technischen und kulturellen Sammlungen, gespeichert in und kuratiert von führenden Forschungseinrichtungen, bilden eine unersetzbare Basis an Daten, Informationen und Wissen, um die natürlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Erde nachvollziehen zu können.

Angesichts der tiefgreifenden kulturellen und technologischen Umbrüche und des dramatischen Wandels der natürlichen Ökosysteme muss die Wissenschaftsgemeinschaft Lösungsoptionen für ein nachhaltiges Anthropozän mitentwickeln, und zwar in enger Kooperation mit den gesellschaftlichen Akteuren. Die zugrundeliegenden Herausforderungen sind vielschichtig und reichen von der Dominanz westlicher Wissenschaftsansätze über eine Oligopolisierung des Wissens, heterogene und fragmentierte Forschungsinfrastrukturen, einschließlich der Sammlungen, bis hin zur Reaktionsträgheit der versäulten, zumeist in sich geschlossenen Wissenschaftssparten.[2] Eine Analyse dieser unterschiedlichen Aspekte würde hier nicht nur zu weit führen, sondern auch einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs erfordern. Wir konzentrieren uns daher auf die Motivation und Zielsetzung des Aufbaus einer nationalen integrierten Sammlungsinfrastruktur, um das Potenzial für weitreichende Transformationen in der Wissensproduktion und deren Nutzung für die Entwicklung von wirkungsvollen Handlungsoptionen zu heben und zu nützen.

Wir benötigen dringend eine systemische Herangehensweise, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Veränderungen verstehen und schlussendlich mitgestalten zu können. Inter- und Transdisziplinarität sind hierfür unverzichtbar. Dies erfordert aber ein rigoroses Überwinden disziplinärer, institutioneller und geografischer Grenzen. Deutschland ist vergleichsweise gut vorbereitet für diese Schritte, da in keinem anderen Land Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft so ausgeprägt sind – was keinesfalls selbstverständlich ist. Aber nutzen wir diese Freiheit und Unabhängigkeit oder bewegen wir uns in selbstgezogenen und zu engen Grenzen? Zugleich gibt es wohl kaum einen besseren Ort als ein Forschungsmuseum, um die großen gesellschaftlichen Transformationen anzustoßen und zu begleiten. Forschungsmuseen vermitteln Vertrauen, da sie authentische und kuratierte Informationen und entsprechendes Wissen vermitteln.

Es steht außer Frage: Die Wissenschaft muss sich konsequent öffnen, um ihre volle Wirkung entfalten zu können. Wirkungsvoll bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Methoden der Wissensproduktion immer auch zur Analyse der Wirkung von Handlungsoptionen eingesetzt werden. Hiermit kann eine enge Verknüpfung von Sammlungen als Träger von Primärinformationen, wissenschaftlicher Wissensproduktion und wirkungsvollem Handeln zur Gestaltung politisch-gesellschaftlicher und ökologischer Transformationen erreicht werden. Nur durch solch eine nachvollziehbare und wirkungsvolle Integration von Wissenschaft und relevanten Stakeholdern, und zwar von Beginn an, lässt sich die in Transformationsprozessen virulenten Lücken zwischen Informationen und Wissen und hin zum Handeln schließen. Derzeit sind biologische, technische und kulturelle Sammlungen noch nicht hinreichend erschlossen und verknüpft, um deren Potenzial für die Gestaltung notwendiger Transformationen voll ausschöpfen zu können. Dies zu ändern, ist das Ziel des Konsortiums OSIRIS – Offene Sammlungs-, Informations- und Rechercheinfrastruktur.